Das Gespräch führte Patricia Löwe am 12. März 2025.
**Patricia Löwe: 2001 waren Sie die erste Trägerin des Nachwuchswissenschaftlerinnen-Preises (heute: Marthe-Vogt-Preis) des Forschungsverbunds. Sie waren 29 Jahre alt. Wie war damals die Situation für Frauen in der Wissenschaft?**
Kathrin Plath: 2001 hatte ich gerade eine Postdoc-Stelle angetreten. Bei Postdocs, Studierenden und Promovierenden gab es in meinem Fach kaum ein Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern. Damals habe ich mich für zwei Labs beworben, deren Principal Investigators (PIs) Frauen waren, und bei zwei Labs mit männlichen PIs. Ich hatte damals kein echtes Bewusstsein für dieses Thema. Mir ist erst später klargeworden, dass es in der Forschung Barrieren für Frauen gibt. Je höher das Karrierelevel, umso schwieriger wird es.
Allerdings empfinde ich es so, dass die USA da weiter sind als Deutschland.
**PL: Woran könnte das liegen?**
KP: Es wurden einfach früher Maßnahmen ergriffen. Natürlich sind wir auch hier in Bezug auf wissenschaftliches Personal noch nicht bei echter Gleichstellung angekommen, gerade was die höheren Posten angeht. Aber es wird besser und besser.
**PL: Als Promovierende und Postdoc haben Sie sich jedenfalls nicht benachteiligt gefühlt.**
KP: Ich war damals eine sehr erfolgreiche Studierende und Nachwuchswissenschaftlerin, weshalb ich ja auch den Preis bekommen habe. Trotzdem habe ich mir nach dem Ph.D. sehr genau überlegt, wie es weitergehen soll, was ich machen möchte. Ich war unsicher, habe mich in der Industrie und im Consulting umgeschaut und mich natürlich auch auf Postdoc-Stellen beworben. Letztlich hat die wissenschaftliche Laufbahn am besten zu dem gepasst, was ich mir vorgestellt habe. Dafür war auch der Preis ausschlaggebend; diese Anerkennung hat mir Selbstbewusstsein als Forscherin gegeben. Wissen Sie, ich stamme aus der Stadt Brandenburg; ich bin in Ostdeutschland aufgewachsen. Meine Mutter war damals wahnsinnig stolz, als ich den Preis gewonnen habe.
Meinen Ph.D. habe ich zwar in Berlin verteidigt, die Dissertation habe ich aber eigentlich an der Harvard Medical School in Boston erarbeitet, im Lab von Tom Rapoport. Der Titel lautete: „Zum Mechanismus der Translokation von Proteinen in das Endoplasmatische Retikulum der Hefe“. Das war Grundlagenforschung im Fachgebiet der Zellbiologie. Auch heute bin ich noch in der Grundlagenforschung tätig, inzwischen in meinem eigenen Lab an der UCLA.
**PL: Von Brandenburg an der Havel nach Los Angeles – das ist ein weiter Weg!**
KP: Als ich 1989 angefangen habe, an der Humboldt-Universität zu studieren, ist gerade die Mauer gefallen. Es war eine aufregende Zeit.
**PL: Mein Eindruck ist, dass wir Frauen aus dem Osten bessere Vorbilder in Sachen Emanzipation hatten als etwa Frauen aus Westdeutschland – zum Beispiel weil die meisten unserer Mütter berufstätig waren. Wie war das bei Ihnen?**
KP: Ja, genau! Meine Mutter war promovierte Chemikerin. In ihrer Berufslaufbahn hatte sie auch Führungspositionen inne. Sie war erfolgreicher als mein Vater. Ich bin damit aufgewachsen, dass Frauen Karriere machen können und es auch tun. Natürlich gab es in der DDR außer Margot Honecker keine Frauen in der Regierung, aber in meiner Lebensrealität sah das anders aus. Ich bin davon ausgegangen, dass Frauen dieselben Chancen haben wie Männer, weil ich einfach gute Vorbilder hatte.
Das ist übrigens vielleicht auch der Grund, warum die Situation hier in den USA etwas besser ist: Es wird sehr viel Wert auf weibliche Vorbilder in Führungspositionen gelegt, auch in der Wissenschaft.
Natürlich habe ich hier trotzdem unschöne Sachen erlebt; plötzlich gab es Professoren auf höherem Level, die mir diktieren wollten, wie die Kollaborationen meines Labors auszusehen haben oder wie die Autor\*innenschaft an Papers zu verteilen ist. Das hat mich überrascht, aber ich habe gelernt, mich in solchen Situationen durchzusetzen.
**PL: Worum genau ging es in Ihrer Dissertation?**
KP: Das ist gar nicht so kompliziert. Damit Zellen kommunizieren, also Signale vermitteln können, müssen einige Proteine, zum Beispiel Hormone, die Zelle, in der sie hergestellt werden, verlassen, um an einem anderen Ort im Körper ihre Funktion erfüllen zu können. Normalerweise können Proteine eine Zellmembran nicht durchdringen. Ein ganz bestimmtes zelluläres Transportsystem, das Endoplasmatische Retikulum, macht den Transfer möglich. Das Besondere dabei: Das Protein wird bereits während seiner Entstehung in die Kanäle des Endoplasmatischen Retikulums eingefädelt und dort auch fertiggestellt. Damit das Protein die Zelle verlassen kann, benötigt es eine Art Postleihzahl, die wir Signalsequenz nennen. Diese Sequenz wird vom Endoplasmatischen Retikulum erkannt, sodass der Transport eingeleitet werden kann. Darum ging es in meiner Doktorarbeit. Das haben wir in Experimenten untersucht.
Tom Rapoport, in dessen Lab ich gearbeitet habe, hat später die Struktur der Kanäle des Endoplasmatischen Retikulums erforscht und konnte die Vorhersagen, die ich in meiner Arbeit getroffen habe, bestätigen. Das hat mich sehr gefreut!
**PL: Woran forschen Sie heute?**
KP: Nach dem Ph.D. war ich, wie gesagt, unsicher, wie es weitergehen sollte. Tom Rapoport war ein toller Mentor. Er hatte große Liebe zum Detail – das war ein gutes Training. Ich bin nach diesem Vorbild in der Grundlagenforschung geblieben, habe aber das Themenfeld gewechselt.
Heute beschäftige ich mich mit dem Nucleus, dem Zellkern, und damit, wie Genregulation funktioniert. Ich forsche zum Beispiel am Phänomen der X-Inaktivierung. Wir Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer nur eins. In einem Embryo darf es immer nur ein funktionierendes X-Chromosom geben, damit er überlebensfähig ist. Deshalb werden bei Frauen die Gene auf einem X-Chromosom, dem mütterlichen oder dem väterlichen, während der Embryogenese deaktiviert. Wie genau das funktioniert, daran forschen wir unter anderem in meinem Lab.
**PL: Wie beeinflusst die aktuelle politische Lage Ihre Forschung?**
KP: Es war ein schlimmes Jahr bisher. Zuerst die Brände in L.A. – mein Haus steht noch, aber vier meiner Kolleg\*innen haben ihre Häuser verloren. Mein Haus ist in einem Canyon – und da gab und gibt es ständig Schlammlawinen, wenn es regnet. Das alles hat mich Monate gekostet – es kostet mich nach wie vor viel Zeit.
Fast nebenbei passierte die Wahl von Trump. Es ist noch nicht klar, wie es jetzt weitergeht. Möglicherweise werden unsere Gelder für sogenannte indirekte Kosten stark gekürzt – Strom, Wasser etc. Dann müsste ich wirklich überlegen wie wir sparen können und womöglich auch Mitarbeitende gehen lassen. Das wäre das Ende unserer Arbeit. Es ist auch schwierig, bestimmte Zusatzförderungen zu bekommen. Einige Förderfonds wurden durch die Trump-Regierung sogar schon abgeschafft.
Andererseits ist es wegen verschiedener bürokratischer Hürden nicht leicht, nach Deutschland zurückzukehren. Ich lebe wirklich sehr gern hier in L.A. Die Arbeit an der UCLA ist erfüllend, aber wenn Trump sich mit seinen Plänen durchsetzt, gibt es kaum noch Gründe, hierzubleiben.
**PL: Zum Schluss: Welchen Rat würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen geben?**
KP: Bis zum Ph.D. war für mich die Wissenschaft eigentlich der Weg des geringsten Widerstands. Ich war gut in dem, was ich getan habe und ich habe es gern getan. Irgendwann, spätestens während der Doktorarbeit, kommt aber der Moment, in dem man diesen Karriereweg wirklich einschlagen _wollen_ muss. Es ist ein harter Job – auch, weil man ständig gezwungen ist, Mittel für die eigene Forschung einzuwerben. Das Wichtigste ist, sich ein Netzwerk von Unterstützer\*innen aufzubauen. Den Nachwuchswissenschaftlerinnen-Preis habe ich gewonnen, weil mich jemand nominiert hat. Das Netzwerk ist wichtig, um Vorträge halten zu können und bei Reviews wohlwollend behandelt zu werden. In der Wissenschaft ist es unmöglich, als Einzelkämpferin zu bestehen.